Am Gauß-Gymnasium gibt es eine herausragende Theaterarbeit. Das hat die Mittel- und Oberstufen-Theater-AG ein weiteres Mal unter Beweis
gestellt. Mit Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ legte sie am Freitag- und Samstagabend eine mitreißende Aufführung hin.
Dass sie sich als neue Produktion dieses anspruchsvolle Stück ausgewählt hat, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Obwohl vor 80 Jahren
uraufgeführt, wirkte in dieser großartigen Inszenierung, die auch Musik- und Tanzeinlagen enthielt, nichts überholt.
Eindringlich warf sie die
Frage auf, ob der Mensch in einer auf Profit ausgerichteten und von Misstrauen geprägten Welt gut sein kann. Brechts Parabelstück zog an den zwei
Abenden ungefähr 700 Besucher in den Bann. Auf typisch Brechtsche Art des epischen Theaters wurden sie ins Geschehen einbezogen und im Epi-
log aufgefordert, den Fortgang der Geschichte selbst weiterzudenken und ein „gutes“ Ende zu finden. Brecht verlegte zwar die Handlung ins ferne China, nach „Sezuan“,
doch steht die Stadt für alle Orte, an denen Menschen ausgebeutet werden. Drei Götter (sehr überzeugend: Katrin Kunz, Sarah Mues, Lilly Korff)
wollen wissen, ob es noch den „guten Menschen“ in einer kapitalistischen Großstadt gibt und finden ihn in Shen Te (große Klasse: Joline Van-
lommel), einer Prostituierten. Der Wasserverkäufer Wang (ausgezeichnet: Felix Maurer) vermittelt ihnen bei ihr ein Nachtquartier. Für die
Unterkunft bezahlen sie 1000 Silberdollar – Geld, mit dem sich Shen Te einen Tabakladen kauft in der Hoffnung, fortan Gutes für ihre Mitmen-
schen zu tun.
In skrupellosen Cousin verwandelt
Das spricht sich herum und bald schon nisten sich bei ihr Menschen ein (Mina Djekic, Katrin Mues, Emma Seitz, Nisa Temel), die ihre
Gutmütigkeit ausnutzen. Als Shen Te merkt, dass sie sich immer mehr verschuldet, verwandelt sie sich in ihren skrupellosen Cousin Shui Ta
(herausragend: Sanja Kautz), ist hart zu den Armen, vertreibt sie und bringt den Laden auf Vordermann. Shen Te hat sich in den arbeitslosen
Flieger Yang Sun (meisterlich: Alexander Scholz) verliebt. Sie gibt seiner Mutter (authentisch: Emilia Klausmann) das Geld für Suns er-
sehnte Stelle als Pilot. In einem Lokal der Vorstadt (Kellner: Landro Baldus) soll Hochzeit gefeiert werden. Shen Te erfährt, dass
Sun sie nur wegen des Geldes heiraten will und löst sich von ihm. Barbier Shu Fu (treffend: Enes Zedelenmez), der neben der Hausbesitzerin
Mi Tzü (Mona Wangler), dem Teppichhändler (Mehlika Altinock) und dem Bonzen (Enes Zedelenmetz) zu den Besitzenden der Stadt gehört,
hat ein Auge auf sie geworfen. Um sie zu gewinnen, unterschreibt er einen Blanko-Scheck. Mit dem Geld baut sie in der Ver-
kleidung ihres Vetters eine Tabakfabrik auf, denn sie entdeckt, dass sie schwanger ist und beschließt, fortan für sich und ihr Kind zu kämpfen. Sie
stellt Mittellose ein – einen Arbeitslosen (Anna Keller), die Witwe Shin (Selina Groß) und den Ex-Schreiner Lin To (Klemens Filusch) – die für wenig
Geld hart arbeiten müssen. Allmählich fragen alle nach Shen Tes Verbleib. Hat Shui Ta sie umgebracht?
Die Polizei (Polizist: Till Wangler) wird eingeschaltet und Shui Ta vor Gericht gebracht. Schließlich gesteht er, dass er Shen Te sei, die sich
aus Not verkleidet hat, doch die Richter alias Götter glauben ihr nicht. Schließlich entschwinden sie hinter einer Nebelschwade, ein
Schauspieler tritt vor die Bühne und sagt: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss, es muss ein guter sein, muss, muss, muss!“
Große Teamleistung
An der Mammutinszenierung arbeitete hinter, vor und auf der Bühne ein Team von mehr als 50 Personen. Trotz Kürzung des Originaltextes riss
der Spannungsbogen nicht ab. Geschuldet war dies dem ausgezeichneten Schauspielteam, der vortrefflichen Regie (Dietrich Brinkmann,
Anja Kaiser, Karl-Ludwig Matz, Yaël Schneider), die auch für die effektvolle Kostümierung verantwortlich zeichnete, der sehr geglückten Licht-
, Video- und Tontechnik (Pendeloque Lichtkunst, Sascha Birkenstock), der Choreographie (Michael Bronczkowski), dem fabelhaften
Bühnenbild (entworfen von Raimund Becker und aufgebaut von den Hausmeistern Simon Strasser und Rainer Sauer) und insbesondere
der von Bernhard Sommer komponierten Musik (Jan Dzierzawa, Saxofon, Joshua Hamleh, Schlagzeug, Bernhard Sommer, Piano, Alexan-
der Münkel, Beatproduktion). Durch effektvolles Rhythmisieren gab sie dem Geschehen zusätzlich Dramatik. Der minutenlange Schlussap-
plaus sprach Bände. Mehrmals forderten die Zuschauer die Schauspieler mit begeisterten Rufen auf die Bühne. In diesen euphorischen Ton
stimmte auch Schulleiterin Anja Kaiser ein. Total begeistert war sie von der Meisterleistung des Schauspielteams und des Tontechnikers Sa-
scha Brinkmann. Ihr großer Dank galt der Gemeinde Neulußheim, die die Halle zur Verfügung gestellt hat, und dem Li-
ons-Club, mit dem zum ersten Mal eine furchtbare Kooperation stattfand. „Wir haben viel Unterstützung, sowohl finanzieller als auch organi-
satorischer Art, erfahren“, sagte Kaiser, „insbesondere vom Präsidenten Michael Sauter und Pressebeauftragten Heinz Kuppinger.“